Vor gut fünf Jahren, im November 2014, wurde die Food Academy als Verein von sieben Unternehmen aus Westmecklenburg und der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Südwestmecklenburg GmbH gegründet. Seitdem fokussiert der Verein seine Arbeit auf den hohen Fach- und Nachwuchskräftebedarf der in Mecklenburg-Vorpommern ansässigen Ernährungsindustrie. Heute engagieren sich 21 Unternehmen mit über 3.500 Mitarbeitenden im Verein. Im Interview berichten Oliver Schindler (OS), Vorstandsvorsitzender des Vereins, und Kathrin Umblia (KU), Netzwerkmanagerin, was in den letzten fünf Jahren passiert ist, welche Erfolge sie verzeichnen konnten und von ihren Plänen für die Zukunft.
Herr Schindler, Sie sind erfolgreicher Geschäftsführer mehrerer Unternehmen der Ernährungsindustrie. Da könnte man meinen, Ihr Zeitplan wäre schon eng genug. Wie kamen Sie 2014 auf die Idee, zusätzlich noch den Food Academy e. V. zu gründen?
OS: Es lag schon 2011 – weit vor der Gründung des Vereins auf der Hand – das mittelfristig der Fachkräftemangel das Thema unserer Zukunft werden wird. Aus diesem Grund war es wichtig, dieses Thema selbst in die Hand zu nehmen. Die Politik hatte – mit wenigen Ausnahmen – noch nicht den Eindruck, dass es sich um ein Problem handelt und alle haben damals darauf gehofft, dass sich das Thema von allein lösen würde.
Die Arbeit des Vereins konzentriert sich auf den hohen Fachkräftebedarf. Wie kommt es, dass sich so viele Unternehmen aus der gleichen Branche zusammenschließen, um an diesem Thema zu arbeiten – wo doch alle vor der gleichen Herausforderung stehen? Gibt es da keine Angst, dass Mitarbeiter abgeworben werden?
OS: Am Ende haben alle Unternehmen das gleiche Problem: das Finden von Auszubildenden und Fachkräften, die sich für die Ernährungsindustrie interessieren. Wir haben über die Bündelung von vielen Unternehmen im Verein eine viel höhere Chance als interessante Branche wahrgenommen zu werden. Danach ist es natürlich für jedes einzelne Unternehmen wichtig, sich den möglichen Bewerbern als das spannendere Unternehmen darzustellen und somit dann wieder für sich selbst um Fachkräfte zu kämpfen. Wenn wir es aber gemeinsam schaffen, mehr Menschen für unsere Industrie zu begeistern, dann haben am Ende alle Unternehmen mehr Chancen die Stellen zu besetzen, da insgesamt mehr Bewerber im Markt sind.
Was sind die größten Meilensteine, die Sie in den letzten 5 Jahren erreichen konnten?
KU: Wir haben als Verein die Weichen für die erste berufsbegleitende Nachqualifizierung von Maschinen- und Anlagenführer sowie für die Fachkräfte der Lebensmitteltechnik gestellt. Entsprechend können Produktionsmitarbeiter unserer Unternehmen berufsbegleitend in etwas mehr als einem Jahr einen anerkannten IHK Abschluss erwerben, und zwar hier in MV, quasi unmittelbar vor den Werkstoren der Unternehmen. Seit 2015 haben wir so mit Hilfe unserer Bildungspartner insgesamt 27 Mitarbeitern einen Berufsabschluss ermöglicht und damit ein berufliches Weiterkommen. Ein weiterer Meilenstein war die Implementierung des Industriemeisters Lebensmittel. Hier haben wir ebenfalls richtig. Tempo gemacht und das Ganze in nur 11 Monaten auf den Weg gebracht. Start der in MV ersten Aufstiegsfortbildung zum Industriemeister Lebensmittel (IHK) war dann im September 2016. Seitdem konnten 14 Absolventen ihren Meisterbrief entgegennehmen. Und die zweite Meisterklasse mit weiteren 12 Teilnehmern ist jetzt gerade ganz frisch im Oktober 2019 gestartet.
Die nach wie vor größte Errungenschaft ist aber nach wie vor die Gründung des Vereins selbst. Eine Initiative aus der Unternehmerschaft, bei der sich Unternehmen einer Branche zusammenschließen, um gemeinsam ein für sie zentrales Thema, die Fachkräftesicherung für die eigenen Unternehmen, zu arbeiten, ihre Kräfte zu bündeln und gemeinsam in Aktion zu treten. Das ist, auch wenn mittlerweile viele die Brisanz der Thematik erkannt haben, bundeslandübergreifend einmalig und hat uns ganz klar eine Vorreiterrolle beschert.
Das Gros Ihrer Mitgliedsunternehmen ist in Südwestmecklenburg angesiedelt. Ist für die Zukunft eine Ausdehnung des Vereins geplant, vielleicht sogar über die Landesgrenzen hinaus?
KU: Ein Stück weit haben wir uns schon ausgedehnt. Seit Gründung ist unser Verein von acht auf nunmehr 21 Unternehmen gewachsen. Waren dies vorerst ausschließlich Unternehmen aus unserer Gründungsregion Südwestmecklenburg, zählen zwischenzeitlich auch zwei Unternehmen in der Region Wismar zum Mitgliederkreis. Ich denke, dass das Potenzial hier noch nicht ausgeschöpft ist. Wir suchen weitere Mitstreiter in der Region. Aber auch Unternehmen anderer Regionen, die sich mit uns gemeinschaftlich für die Fachkräftesicherung in der Ernährungswirtschaft engagieren wollen, sind eingeladen. Es bringt nichts, abzuwarten und die Hände in den Schoß zu legen. Diese existenzielle Aufgabe können wir nur offensiv gemeinschaftlich stemmen. Tatsächlich erreichen uns auch Anfragen außerhalb unseres Bundeslandes, etwa aus Sachsen, Bremen und Hannover. Interessierten Unternehmen und Institutionen mussten wir allerdings eine Absage erteilen – unser Engagement beschränkt sich zurzeit gemäß unserer Satzung auf MV und da haben wir tatsächlich mehr als genug zu tun.
Und was planen Sie inhaltlich für den Verein? Welche Projekte oder Themengebiete bearbeiten Sie aktuell?
KU: Es gibt Themen, die beschäftigen uns dauerhaft. Etwa die Frage, wie wir Schüler für die vielseitigen Berufe in der Ernährungswirtschaft begeistern können. Aktuell arbeiten wir daran, wie wir die verschiedenen Laufbahnen nach Abschluss der Berufsausbildung besser darstellen können, um so zu verdeutlichen, welche weiteren spannenden Möglichkeiten unsere Unternehmen bieten. Im Arbeitskreis Personal suchen wir nach Lösungen, wie Schichtpläne in der Produktion flexibilisiert und individualisiert werden können. „Das geht bei uns nicht!“ ist schon lange kein akzeptabler Satz mehr für Bewerber. Die Frage muss lauten „Wie können wir das umsetzen?“. Der Fokus unserer Arbeit liegt derzeit auf den technischen Fachkräften. Hier ist der Notstand am Größten. Die zentrale Frage lautet: Wie können wir vorhandene Potenziale in den Unternehmen heben und auf diesem Weg unsere technischen Fachkräfte entlasten.
Blicken wir 5 Jahre weiter, zum 10-jährigen Food Academy Jubiläum. Was möchten Sie bis dahin mit der Arbeit des Vereins erreicht haben?
OS: Wichtig ist natürlich, dass wir uns ständig die Frage stellen: Was braucht der Markt, was brauchen unsere Mitglieder und uns dementsprechend weiterentwickeln. Es werden bis 2050 wesentlich weniger Erwerbstätige in Deutschland verfügbar sein. Daher müssen wir Ideen entwickeln, wie wir diesem Problem für die Mitgliedsunternehmen entgegenwirken. In diesem Sinne wollen wir uns fest in MV als notwendiger Baustein verankert haben.